Fotos © 1999 by Reto Schlatter

 

Raphael erklärt was.

Seit der Produktion von "Die Piraten" glaube ich an Wunder.

Um nur einige Beispiele zu nennen: 1. Durch widrige Umstände sass ich plötzlich ohne Black Sheba da. Ich telefonierte in der halben Schweiz herum auf der Suche nach einer Sheba mit verruchter, dunkler, rauchiger Stimme. Ich erhielt nur Absagen, denn der nächste Aufnahmetermin war Freitag. Mittwoch Abend erhielt ich dann die Zusage von Ruth Schwegler; am Donnerstag schickte ihr das Mauskript express nach Bern; am Freitag stand sie im StarTrack-Studio hinter dem Mikrofon und spielte Sheba. An dieser Stelle mein Kompliment an Ruth.

2. Der Tag, an dem die Szene aufgenommen wurde, in welcher Vanity von Happy Dan Pew auf der Insel Aves geschnappt wird. Die französischen Piraten sollen "Milor'" singend an Land rudern. Wirwaren alle schon im Studio, als mir einfiel, dass ich den verdammten Text zu diesem Piaf-Song nicht hatte. Aufs Geratewohl fragte ich in die Runde, ob irgend jemand den Text von "Milor'" auswendig könne. Mayeul Schaeppi, Schauspieler und Stuntman französischer Zunge, sagte: "Aber ja!" und schrieb uns den Text auf.


Eher gemein hingegen fand ich, dass ich selber mitspielen musste. Mike Müller, der sich für die Rolle des Firebeard interessiert hatte, musste aus Termingründen absagen, und hier fand ich keinen adäquaten Ersatz. Und Colonel Tom Blood, eigentlich die wichtigste Rolle, wollte ich mit äusserster Sorgfalt besetzen. Bis ich wenige Tage vor der ersten Aufnahme merkte, ich hatte Blood beim Casting vollkommen verdrängt, ihn einfach vergessen. Ich hatte zu dieser Zeit gerade eine leichte Grippe hinter mir, und meine Stimme war vom Husten etwas angegriffen, was der Figur des Blood etwas kaputtes gab. Jedesmal aber, wenn sich meine Stimme wieder zu erholen drohte, stand eine Szene als Firebeard auf dem Aufnahmeplan, was die Heiserkeit in nullkommanichts wieder zurückbrachte.

Raphael und Olifr in der Regie

Die Aufnahmen haben sehr Spass gemacht, und es war klasse, mit Leuten zu arbeiten, die sich nicht zu schade waren, für eine Parodie einmal voll in die Klischee-Kiste zu greifen. Wunderbar auch, als Sylvia einen "Jolly Roger", die klassische Piratenfahne, mitbrachte und an die Wand hängte. Sie hängt jetzt in meinem Büro, nachdem ich sie von Sylvia zum Geburtstag geschenkt bekam.
Was wir zuweilen aus dem Tonstudio machten, muss für unseren Tonmeister Olifr der reinste Horror gewesen sein.

Unser RequisiteurTuggi Demmerle war meistens damit beschäftigt, frische Gemüsekisten anzuschaffen, die dann bei diversen Gelegenheiten zertrümmert wurden: Da mussten Türen eingetreten, Schiffe versenkt und ganze Zimmermöblierungen zerlegt werden. Wenn Firebeard einen Tobsuchtsanfall hatte, ging natürlich etwas zu Bruch. Bei drei bis vier Takes kam da ganz schön was zusammen.

Mehrmals musste ich mir den Vorwurf der Detailverliebtheit gefallen lassen; dennoch wollte ich in erster Linie ein Hörspiel, das inhaltlich wie in seinem Charakter der Romanvorlage möglichst entsprach. Deshalb war wohl das Schönste die Reaktion von George MacDonald Fraser, als ich ihm sein Belegexemplar geschickt hatte. In seinem Brief stand: "...als ich hörte, dass jemand aus meinen Piraten ein Hörspiel machen will, war ich skeptisch, aber als ich die erste CD einlegte und als erstes die Musik von Erich Wolfgang Korngold erklang, haben Sie mein Herz gewonnen." (Raphael Burri)

Im Aufenthaltsraum des StarTrack-Studios werden die Rollen erarbeitet und entwickelt und das Zusammenspiel geprobt.

 

Sylvia Garatti (Lady Vanity):

Besteige am 5. April 1999 frühmorgens und hundemüde den Zug und wage eine Fahrt ins Unbekannte- in meiner Tasche ein abenteuerliches Script, im Bauch Vorfreude gemischt mit Lampenfieber. Ich kenne kaum eine/n der Beteiligten, geschweige denn den Regisseur und bin gespannt, was auf mich erwartet. Am Bahnhof in Schaffhausen treffe ich auf zwei ebenbürtig verschlafene Schauspieler. Zu dritt betreten wir einen kleinen, chaotischen Raum voller unbekannter Gesichter. Es herrscht gedämpfte Unruhe; Tatendrang und Nervosität liegen in der Luft. Erste Hürde: Wer ist hier der Regisseur? Ich versuche, der Stimme, mit der ich telefoniert habe, ein Gesicht zuzuordnen. Gerade als ich mich entschieden habe und auf einen der Männer zusteuern will (wie sich später herausstellt, handelt es sich um den Tontechniker) tritt ein anderer Mann auf mich zu und befreit mich aus meiner misslichen Lage. Er stellt sich als Initianten der ganzen Sache vor- eigentlich hätte ich es gleich merken können. Dankbar trinken wir einen ersten Kaffee, mümmeln Croissants und beschnuppern uns gegenseitig. Die erste Leseprobe ist ein voller Erfolg: Der Funke springt, der Text wird im Nu lebendig und wir stürzen uns voll Freude auf unsere Figuren und die schrägen Dialoge. Wir werden tollkühner, drücken auf die Tube und benehmen uns innert kürzester Zeit bereits wie ein eingeschworener Haufen. Also ab ins Studio! Ein Traum wird wahr: Piraten! Abenteuer! Romantik! Wir legen uns ins Zeug, improvisieren übermütig mit Text, Requisiten und Mikrofon, geben alles, kugeln uns vor Lachen, spucken ins Mikrofon, gestikulieren und hampeln, das Chaos bricht aus, Spielfreude überbordet, und immer ist irgendjemand reif für ein Bier. Auf wundersame Weise verlieren weder Crew noch Kapitän den Kurs, und so entwickelt sich das Ganze zu einer aufregenden und schönen Zusammenarbeit. Ein guter Stern wacht über uns "Piraten", und so taucht eine Bande unverbesserlicher IdealistInnen während Wochen in einem Studio am Rande der Kleinstadt ab, schippert hart am Bug fernen Weiten und einem unbekannten Hafen entgegen...

Raphael Burri: ...zu anderen Inseln unter einem anderen Mond. Und zu weiteren Hörspielen, möchte ich meinen.

Rut Schwegler, Aki Rickert und Sylvias Jolly Roger


Tom Krailing (Akbar der Verdammte, Bellamy, Gatte einer Dame und Coatlpult):

Wenn ich an die Aufnahmen zu "Die Piraten" zurückdenke, dann kommen mir zwei Sachen in den Sinn: mein erster Tag, zu spät, noch halb besoffen und mit üblem Gestank aus meinem Rachen. Und dann gleich die Szene, in der ich als Akbar die holde Vanity zu vergewaltigen versuche. Ich hab ein Fisherman's Friend nach dem anderen reingehauen... Grässlich. Zweitens die Szene am Strand als Quatlpult mit Millns als Patzlqtln. First Take und zusammenbrechende Regie. Yeah.

Raphael Burri: Stimmt, Olifr und ich, und alle, die im Regieraum sassen und zuguckten, haben vor Lachen in die Hosen gemacht. Die beiden waren aber auch zu komisch. Der ganze Take dauert eben mal 26 Sekunden und war auf Anhieb so gut, dass wir gar nicht erst eine weitere Version aufnahmen.

 

Ruth Schwegler (Black Sheba):

Ruth in Ketten

Eine Szene zwischen Bodo und mir ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Das war lustig. Die Szene spielt im Urwald; im Studio liegt Bodo am Boden auf dem Teppich, und ich sitze rittlings auf seinem Bauch und bedrohe ihn verbal erotisch. Er tat mir so leid, aber es schien ihm nichts ausgemacht zu haben, denn er meinte ein paar mal: "Ach, lass es uns noch einmal machen." (hi hi.) Zum Glück hat der Mensch Humor.

Raphael Burri: Ja, ich erinnere mich. Im Regieraum hatten wir eine Riesengaudi deswegen. Überhaupt waren die Kuss-Szenen - "Knutsch-Szenen", wie wir sagten - von grossem Unterhaltungswert: Da vernahm man den hingeschmachteten, geseufzten und gestöhnten Text und das Schmatzen und Grunzen der Küsse, und wenn man hinsah, standen die Akteure in schicklicher Entfernung zueinander vor den Mikrophonen und knutschten ihre eigenen Unterarme - ein Bild für Götter! Bodo war echt Klasse. Nachdem sich Ruth in einer Knutsch-Szene ziemlich heftig an ihn rangeschmissen hatte, sagte sie zu ihm in der Pause nach dem Take: "Ich hoffe, das war nicht zuviel für dich." Graziös winkte er ab und meinte: "Ach, weißt du, dazu bin ich viel zu professionell!"

 

Walter Millns (Black Bilbo, Patzlqtln, Spieler):

Fechten und Hörspiel ergibt fürs Auge eine der lächerlichsten
Darstellungen. Helden und Bösewichte vereint auf einem winzigen Holzbrett, den Text in der einen, Degen in der anderen Hand. Vor der Nase das Mikrophon. Während die Beine und Schuhwerk sowas wie einen wilden, unkoordinierten Stepptanz aufführen, reiben sich die Klingen der Degen liebevoll aneinander, hauen sich da ein bisschen, tun dort ein vorsichtiges Hiebchen, mal ein Lärmchen, während sich die "Todfeinde" - lautstark wohlgemerkt! - gegenseitig die Pest an den Hals und den Tripper an den Pimmel wünschen. In der Stimme den Haudegen, der Körper ein bisschen schwul; so sieht Fechten im Hörspiel aus ­ was soll man da noch ernst nehmen?!

Raphael Burri: Touché! Stimmt schon was der Mann sagt. Und er muss es ja wissen, schliesslich spielte er den gefürchteten Black Bilbo, den Mann mit der schnellsten Klinge von St. Kitts bis zur Koromandelküste. Nun, zum einen Waren die Platzverhältnisse im Studio für Degenduelle etwas beengt, zum anderen hatten wir auch den Mikrofonen Sorge zu tragen. Aber Spass hat's gemacht, gell, Walti?

Auf des Toten Mannes Kiste: Blood und Avery im Zweikampf - Für die zahlreichen Fechtszenen wurde vor dem Mikrophon wirklich gefochten.